Donnerstag, 13. Januar 2011

Mutmaßungen über The Wire, Staffel 1

Ich habe noch keinen getroffen, der sie gesehen hat und nicht mochte. The Wire (erste Staffel: 2002). Steht sie paradigmatisch für das Zeitalter der neuen, guten Serie, die (zumindest hierzulande) längst nicht mehr das Fernsehen als Trägermedium braucht? Wir jedenfalls atmen auf! Wir haben schließlich das Recht auf eine US-amerikanische Serie, die uns gefällt, und zwar ohne den Zusatz der uns üblichen (zeitgemäßen?) Ironie, die nahezu allen Konsum legitimiert, also zB Baywatch oder Topmodel schauen (Nein: Wrestling ist wirklich gut und kann ironiefrei konsumiert werden!). Und wir wollen eine Serie, die ohne das melancholische Pathos verklärter (weil verflossener) Jugend genossen werden kann (das meistens mit genannter Ironie korrespondiert). Mir, da sich mein Serienkonsum vor allem aus den 80er- und 90er-Jahren speist, und ich mich darüber hinaus kaum um neuen Stoff gekümmert habe, mir Unmündigem bleibt da nichts mehr übrig, außer, ja klar, Twin Peaks. Die Serie für den Mainstream-Alternativen.
The Wire aber gefällt – und das ist wohl keine neue oder besonders kluge, aber mMn eine zentrale Erkenntnis – nicht obwohl, sondern eben weil es sich hier um eine Serie handelt. Ein unzulässiger Vergleich, aber dennoch: Wäre The Wire ein Film, es wäre ein guter Film, da The Wire jedoch eine Serie ist, ist es eine außerordentliche Serie. Der Vergleich macht Sie sicher: Wir kennen Filme die mit ähnlichen formalen Methoden arbeiten (viel Handkamera, borstige Schnitte, „Realismus-Effekte“) wir kennen Krimis, die einen ähnlichen Plot aufbauen, mit ähnlichen saufenden, prügelnden, fluchenden Polizisten guten Herzens (klassische Anti-Helden), die in Kontrast zu den zivilisiert agierenden, gut aussehenden, teuer gekleideten Gangsterbossen stehen, und wir wissen nicht erst seit The Wire, dass es das Gute an sich nicht gibt und dass es noch weniger jemals siegreich sein wird, auch deshalb, weil da offensichtlich etwas existiert, das wir nicht durchschauen und kontrollieren können, ein Ort, an dem sich unaufhörlich Macht ansammelt und der wenig davon abgeben will (In The Wire (Staffel Eins) dann doch fast zu plakativ die machtgeilen Oberbullen und Politiker) – ohne dabei eine Verschwörungstheorie zu formulieren. Das gab bisher vielleicht noch nicht – vor allem in dieser Form, also in diesem visuellen Gewand. (Aber bitte: Ich kenne mich ja wirklich viel zu wenig aus, um hier Behauptungen aufstellen zu können. Aber Fragen.)
Und ich frage mich: Ist The Wire nicht eine postmoderne Serie – par exellence?
Da gibt es die Überzeugung von der Undurchschaubarkeit der Welt, die nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell transportiert wird - die Kamera findet sich oft genauso mühsam zurecht, wie diejenigen, die sie einzufangen versucht. Ein funktionierendes, will heißen, kontrollierbares und transparentes Justizwesen, wird erst gar nicht mehr vorausgesetzt. Da ist die die Zufälligkeit der Geschichte. Die Kontingenz aller erzählten Wirklichkeit. Das ausufernde Figurenensemble. Die Perspektive von unten: Arme, Drogensüchtige, Schwarze, Homosexuelle. Die Welt als Text: Besteht doch die Methode der Polizei darin, endlos Gespräche abzuhören, also Sprache anzusammeln, Zeichen versuchen zu lesen, zu verstehen aber auch misszuverstehen. Es gibt keine abgeschlossenes Ende und schon gar keine zufriedenstellende Lösung (aber wie soll man etwas ins Lot bringen, in einer Welt der ständigen Verschiebung?). Und natürlich gibt es das Zitat, wie oben schon erwähnt, etwa vom kauzigen Detektiv (McNulty), der, etwas alkoholgeschwängert, sein Privatleben nicht auf die Reihe bekommt (Ex-Frau Alarm!) dafür aber ein gutes Herz und große Fähigkeiten als Polizist hat. Da gibt es die maßgeschneiderten Gangsterbosse und wie jeder gute Boss hat auch Avon eine rechte Hand, die eigentlich sogar etwas klüger und brutaler ist, aber loyal (zumindest bis jetzt!). Dann gibt es den verräterischen Maulwurf, den tyrannischen Boss, die Paulus-Saulus-Figur (Pryzbylewski), der nur auf seine richtigen Begabungen stoßen muss, um ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden (Bildungsroman?), und so weiter und so weiter. The Wire nimmt, wie könnte es anders sein, bereits Bestehendes und macht dennoch etwas, in dieser Form (in der Form der Serie) ganz Neues. Oder? Eigentlich unglaublich, dass das so lange gedauert hat. Auch wenn die erste Staffel nun auch schon wieder zehn Jahre alt ist, fragt man sich: Hätte es das nicht auch in den 90ern geben können? Liegt das tatsächlich an den (Quoten-) Abhängigkeiten im prä-internet-Zeitalter? Oder sind die Konsumenten anspruchsvoller geworden? Oder erreicht man diese nun besser? Oder stimmt das alles nicht und es geht nach wie vor nur um die Quote (und den DVD Verkauf. Übrigens: The Wire Staffel Eins kostet im Saturn ca. 50 Euro! Hallo?)
Soviel zu Staffel Eins. Bin schon gespannt was in der Zweiten kommt. Eine weitere Frage wäre die, inwieweit The Wire tatsächlich so realitätsnahe ist, wie es (vermutlich) heißt. Und vielleicht wieder die Genre-gebundene Antwort: Für eine Serie sehr wohl, verglichen aber mit mir bekannten Filmen (Seidl natürlich oder Gus van Sant) dann schon wieder gar nicht.

PS: Die Couch im Innenhof der Dealer. Eine grandiose Idee. Aber was soll es bedeuten? Ist es bloß ein Verfremdungseffekt, oder eine Parodie auf die klassische Sitcom, deren Geschehen sich ja stets auf einer Couch abspielt?

leistung und vergnügen

Franz-Xaver Franz Drama-Queen

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