traum

habe geträumt: die uno löst sich auf. viele mitglieder verlassen den großen plenarsaal. nur drei personen bleiben sitzen: ich, ein außerirdischer und für die usa benjamin franklin.
weiter weiß ich leider nicht mehr.

Mutmaßungen über The Wire, Staffel 1

Ich habe noch keinen getroffen, der sie gesehen hat und nicht mochte. The Wire (erste Staffel: 2002). Steht sie paradigmatisch für das Zeitalter der neuen, guten Serie, die (zumindest hierzulande) längst nicht mehr das Fernsehen als Trägermedium braucht? Wir jedenfalls atmen auf! Wir haben schließlich das Recht auf eine US-amerikanische Serie, die uns gefällt, und zwar ohne den Zusatz der uns üblichen (zeitgemäßen?) Ironie, die nahezu allen Konsum legitimiert, also zB Baywatch oder Topmodel schauen (Nein: Wrestling ist wirklich gut und kann ironiefrei konsumiert werden!). Und wir wollen eine Serie, die ohne das melancholische Pathos verklärter (weil verflossener) Jugend genossen werden kann (das meistens mit genannter Ironie korrespondiert). Mir, da sich mein Serienkonsum vor allem aus den 80er- und 90er-Jahren speist, und ich mich darüber hinaus kaum um neuen Stoff gekümmert habe, mir Unmündigem bleibt da nichts mehr übrig, außer, ja klar, Twin Peaks. Die Serie für den Mainstream-Alternativen.
The Wire aber gefällt – und das ist wohl keine neue oder besonders kluge, aber mMn eine zentrale Erkenntnis – nicht obwohl, sondern eben weil es sich hier um eine Serie handelt. Ein unzulässiger Vergleich, aber dennoch: Wäre The Wire ein Film, es wäre ein guter Film, da The Wire jedoch eine Serie ist, ist es eine außerordentliche Serie. Der Vergleich macht Sie sicher: Wir kennen Filme die mit ähnlichen formalen Methoden arbeiten (viel Handkamera, borstige Schnitte, „Realismus-Effekte“) wir kennen Krimis, die einen ähnlichen Plot aufbauen, mit ähnlichen saufenden, prügelnden, fluchenden Polizisten guten Herzens (klassische Anti-Helden), die in Kontrast zu den zivilisiert agierenden, gut aussehenden, teuer gekleideten Gangsterbossen stehen, und wir wissen nicht erst seit The Wire, dass es das Gute an sich nicht gibt und dass es noch weniger jemals siegreich sein wird, auch deshalb, weil da offensichtlich etwas existiert, das wir nicht durchschauen und kontrollieren können, ein Ort, an dem sich unaufhörlich Macht ansammelt und der wenig davon abgeben will (In The Wire (Staffel Eins) dann doch fast zu plakativ die machtgeilen Oberbullen und Politiker) – ohne dabei eine Verschwörungstheorie zu formulieren. Das gab bisher vielleicht noch nicht – vor allem in dieser Form, also in diesem visuellen Gewand. (Aber bitte: Ich kenne mich ja wirklich viel zu wenig aus, um hier Behauptungen aufstellen zu können. Aber Fragen.)
Und ich frage mich: Ist The Wire nicht eine postmoderne Serie – par exellence?
Da gibt es die Überzeugung von der Undurchschaubarkeit der Welt, die nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell transportiert wird - die Kamera findet sich oft genauso mühsam zurecht, wie diejenigen, die sie einzufangen versucht. Ein funktionierendes, will heißen, kontrollierbares und transparentes Justizwesen, wird erst gar nicht mehr vorausgesetzt. Da ist die die Zufälligkeit der Geschichte. Die Kontingenz aller erzählten Wirklichkeit. Das ausufernde Figurenensemble. Die Perspektive von unten: Arme, Drogensüchtige, Schwarze, Homosexuelle. Die Welt als Text: Besteht doch die Methode der Polizei darin, endlos Gespräche abzuhören, also Sprache anzusammeln, Zeichen versuchen zu lesen, zu verstehen aber auch misszuverstehen. Es gibt keine abgeschlossenes Ende und schon gar keine zufriedenstellende Lösung (aber wie soll man etwas ins Lot bringen, in einer Welt der ständigen Verschiebung?). Und natürlich gibt es das Zitat, wie oben schon erwähnt, etwa vom kauzigen Detektiv (McNulty), der, etwas alkoholgeschwängert, sein Privatleben nicht auf die Reihe bekommt (Ex-Frau Alarm!) dafür aber ein gutes Herz und große Fähigkeiten als Polizist hat. Da gibt es die maßgeschneiderten Gangsterbosse und wie jeder gute Boss hat auch Avon eine rechte Hand, die eigentlich sogar etwas klüger und brutaler ist, aber loyal (zumindest bis jetzt!). Dann gibt es den verräterischen Maulwurf, den tyrannischen Boss, die Paulus-Saulus-Figur (Pryzbylewski), der nur auf seine richtigen Begabungen stoßen muss, um ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden (Bildungsroman?), und so weiter und so weiter. The Wire nimmt, wie könnte es anders sein, bereits Bestehendes und macht dennoch etwas, in dieser Form (in der Form der Serie) ganz Neues. Oder? Eigentlich unglaublich, dass das so lange gedauert hat. Auch wenn die erste Staffel nun auch schon wieder zehn Jahre alt ist, fragt man sich: Hätte es das nicht auch in den 90ern geben können? Liegt das tatsächlich an den (Quoten-) Abhängigkeiten im prä-internet-Zeitalter? Oder sind die Konsumenten anspruchsvoller geworden? Oder erreicht man diese nun besser? Oder stimmt das alles nicht und es geht nach wie vor nur um die Quote (und den DVD Verkauf. Übrigens: The Wire Staffel Eins kostet im Saturn ca. 50 Euro! Hallo?)
Soviel zu Staffel Eins. Bin schon gespannt was in der Zweiten kommt. Eine weitere Frage wäre die, inwieweit The Wire tatsächlich so realitätsnahe ist, wie es (vermutlich) heißt. Und vielleicht wieder die Genre-gebundene Antwort: Für eine Serie sehr wohl, verglichen aber mit mir bekannten Filmen (Seidl natürlich oder Gus van Sant) dann schon wieder gar nicht.

PS: Die Couch im Innenhof der Dealer. Eine grandiose Idee. Aber was soll es bedeuten? Ist es bloß ein Verfremdungseffekt, oder eine Parodie auf die klassische Sitcom, deren Geschehen sich ja stets auf einer Couch abspielt?

Kontaktanzeige

In der Zeitung gefunden:

"Ich habe eine fixe Beziehung und fixe Kinder und möchte gerne nur die Haut einer anderen Frau streicheln."

Selten etwas so tragisches gelesen. Und selten etwas so komisches wie "fixe Kinder".

geboren am 11. september

du bist amerika, junges mädchen, wie es sich die meta-verschwörungstheoretiker don de lillo oder thomas pynchon nicht besser hätten ausdenken können: beim attentat schrägstrich amoklauf in arizona wurde bekanntlich auch ein 9-jähriges mädchen erschossen. ihr geburtsdatum: 11.09.2001. in ihre biographie schreibt sich mehr symbolik amerikanischer geschichte ein, als es selbst eine romanfigur oben genannter autoren ertragen würde.
die heutige faz in einer bildunterschrift: " jared lee loughner, der attentäter von tuscon, war offenbar geistig verwirrt. gilt das auch für die öffentlichkeit, in der hirngespinste wuchern können wie die loughners, dass die regierung in washington hinter den anschlägen vom 11. september 2001 stecke?" - wow! so viel amerika in einem satz. eine kreuzung aller erdachten und erlebten erschütterungen der letzten 50 jahre. ein attentat, das gleichzeitig ein amoklauf ist, wird von einem mann (namens lee!) ausgeführt, der sich offenbar einer verschwörung rund um die anschläge von 9/11 sicher ist. dass sein 9-jähriges opfer just an diesem tag zur welt kam, raubt einem beinahe den verstand - wer will da noch an zufall glauben?
jeder attentäter ist ein paranoider leser, lautet die these des bochumer literaturwissenschaftlers manfred schneider. der linguistik-narr und verschwörungstheoretiker loughner ist sein neuer kronzeuge.
http://www.br-online.de/bayern2/kulturjournal/paranoische-vernunft-attentat-manfred-schneider-ID1291210490531.xml

Der Attentäter von Robert Kennedy

in Haft:

Zuerst: Flehen um Vergasung, dann: Flehen um Amerika.

prödel vor eto´o in höchster not.

der kommt natürlich da auch rausgerauscht als gäbs kein morgen.
das ist das werder gemüt.
luis figo, heut morgen hab ich mit ihm gefühstückt!
arnautovic, der da ganz komische ideen hat.
seis drum! inter vier, werder null.
bleiben sie sportlich!


Übrigens: Eto´o liefert den besten Torjubel: Er schnappt sich den Fotoapperat eines an der Outlinie postieren Journalisten und knipst den auf ihn zulaufenden jubelnden Snejder. Warum ist das keinem früher eingefallen? Dafür gibts die Bestnote.

mitten in der nacht

Er, sagst du, der Vater, hat dich in jener Nacht, und zwar mitten in der Nacht, nicht erst kurz nachdem du in den Dachboden auf dein Zimmer und ins Bett gegangen bist, sondern als du, wie du sagst, dich bereits in einer tiefen Schlafphase befunden hattest, aus dem Schlaf gerissen damals und mit voller Wucht. Du sagst: „Er stürmt in mein Zimmer, reißt die Türe auf ohne anzuklopfen und ich die Augen. Ich glaube, dass ich kein Recht habe, etwas zu sagen“, sagst du, „und sage nichts. Schon steht er mit beiden Beinen auf meinem Bett, in der linken, bereits erhobenen Hand, eine zusammengerollte Zeitung und er schlägt damit auf meinen Kopf, schlägt damit auf meinen Kopf, er schlägt damit auf meinen Kopf, auf meinen Kopf.“
Als du das sagst, sehe ich kurz Fingerspitzen unter dem Bett hervorblitzen, vielleicht aber auch glaube ich nur das zu sehen, um zumindest irgendetwas zu sehen, das mir ein Zeichen gibt oder eine Gewißheit oder eine Bestätigung über die Richtigkeit deiner Erzählung. Du aber bleibst unsichtbar. Endlich nehme ich Platz, wische den Stapel an Kleidung vom Stuhl, alles fällt zu Boden, und setze mich, ohne mir den immer noch tropfenden Regenmantel auszuziehen.
„Dann erst hat der Vater gesprochen, oder eigentlich geschrien: «Die Tochter vom Alexander ist gestorben.» so der Papa «jetzt macht ers nicht mehr lang! Zuerst die Tocher und dann der Vatta, weil das überlebt er nicht, das Schwein. Das raubt ihm jeden Lebenswillen, in ein paar Tagen ist er tot.“ schreit er und schlägt damit auf meinen Kopf. «Du komm jetzt, steh auf du faules Schwein, jetzt ist es mitten in der Nacht, steh auf jetzt und geh zum Saska rüber, weck ihn auf, das faule Schwein, und sag ihm: Die Tochter vom Alexander ist gestorben! Das sagst du ihm und dann, wenn er die Augen aufreisst, sagst du ihm, bevor er etwas sagen kann, Kind, das ist wichtig, dass du ihn gar nicht zu Wort kommen lässt, damit ihm der Schock, den ihn sicher wegen dem Tod der Tochter vom Alexander befallen wird, im Hals stecken bleibt, dann also sagst du ihm: Jetzt macht ers nicht mehr lang, das Schwein, der Alexander, das soll ich dir vom Vatta sagen», so mein Papa zu mir, als ich noch keinen Fuß aus dem Bett tun konnte und mir wünschte, ich würde unter dem Bett liegen, nicht oben drauf, wo mich jeder und vor allem der Papa finden kann, sondern unten, unterm Bett will ich sein. Der Papa aber hat mir die Decke schon weggerissen gehabt, als er wieder lautstark zu schreien begann: «Ich wollt mich schon schlafen legen, als ich in der Zeitung die Nachricht entdeckt habe, dass die Tochter vom Alexander gestorben ist, stell dir vor. Den ganzen Tag schon hab ich die Zeitung gelesen, von vorn bis hinten, wie ich geglaubt hab, aber erst jetzt, mitten in der Nacht hab ich…» hat der Papa gesagt und hat gar nicht fertiggesprochen, sondern sich auf mein Bett gesetzt, in der Linken immer noch die zusammengerollte Zeitung, und tief ausgeatmet. «Dass ich das noch erleben darf…» Dass ich das noch erleben darf, hat er gesagt“, sagst du und schweigst.
Ich sehe den Berg an Kleidung neben meinem Stuhl und sehe das Bett unter dem du dich verkrochen hast, schon bevor ich in meine Wohnung kam, Gott weiß wie lange du schon da unten liegst, ich werde dich nicht fragen, aber jetzt stehe ich auf, öffne das Fenster und höre die Betrunkenen schreien. Ich zünde mir keine Zigarette an, obwohl ich Lust dazu hätte, aber irgendetwas hält mich davon ab, stattdessen setze mich wieder. Du sagst: „Der Papa hat lange nichts gesagt, sondern hat auf seine zusammengerollte Zeitung geschaut. Ich habe gehofft weiterschlafen zu können und wieder meine Augen geschlossen, als mich die Zeitung mitten ins Gesicht getroffen hat. „Nicht einschlafen! Geh jetzt zum Saska. Zieh die Stiefel an, weil es regnet, und lauf.» Er steht auf und geht im Zimmer herum. Papa beginnt zu lachen, als er wieder auf die Zeitung blickt, ganz hemmungslos wie er das sonst nur betrunken macht, und jetzt geht er zum Fenster und macht mit einer Hand, weil er die Zeitung nicht loslassen will, ein Fenster auf, wobei der Regen, der gerade noch an das Glas geprasselt hat, jetzt auf den Boden fällt. Alles fällt zu Boden, will ich sagen, aber sage nichts. Der Papa aber schreit zum Fenster hinaus: «Der Alexander ist tot.» Ich setze mich auf und suche meine Siefel ohne aufzustehen.“
Unter dem Bett sagst du, da liegen entweder die Geister oder die Schatten, und mitten in der Nacht kriechen sie heraus, erschrecken dich oder nehmen dich mit. Wenn man aber selbst unter dem Bett liegt, die ganze Nacht, dann ist man in Sicherheit. „Ich hab aber nicht unter dem Bett gelegen, sondern oben drauf auf dem Bett“ sagst du, während die Betrunkenen unten auf der Straße zu singen beginnen und wir hier oben, in meiner Wohnung, ich auf dem Stuhl und du unsichtbar am Boden, lange Zeit schweigen.
„Es hat tatsächlich stark geregnet, das weiß ich noch, weil der Papa, nachdem er mir die Stiefel, meine damals schon sehr alten, von der Schwester geerbten Gummistiefel, angezogen hatte, die Enden meiner Pyjamahose hineinsteckte, ohne mir ins Gesicht zu blicken, ohne mich fragend anzusehen, ob denn die Stiefel nicht zu eng wären, so wie man das aus den Filmen kennt, wenn ein Vater dem Kind die Gummistiefel anzieht, zumindest aus den Filmen, in denen der Alexander mitgespielt hat und die man an jedem Wochenende im Fernsehen sehen kann. Daran habe ich denken müssen, als mir der Papa den mir viel zu großen Regenmantel übergezogen hat mit einer Hand und, wie er gesagt hat, mich «am liebsten zum Fenster hinaus» geworfen hätte, weil ich, immer noch am Bett sitzend, mich nicht rühren konnte. Die Tochter vom Alexander, dachte ich, ist auch ein Kind, das Kind vom Alexander und ist mitten in der Nacht gestorben, es kam mir vor, als wäre sie gerade eben gestorben, wäre mit ihrem Fahrzeug, das sie kaum lenken kann, von der Strasse abgekommen, denn die Füße zappeln in der Luft, anstatt das Gaspedal zu drücken, nur hie und da kann sie es erreichen und neuen Schwung für ein paar Meter holen. Es kam mir vor, als wäre sie mit ihrem viel zu großen Auto auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern gekommen, wie man sagt und gegen einen Baum oder in eine Grube gefahren und auf der Stelle tot gewesen. Ich stellte mir vor, dass ich, wenn ich mich auf den Weg zum Saska mache, an dem brennenden Auto vorbei gehen würde, mit meinen Gummistiefeln in Pfützen tretend und mich nur hinüberschielen trauen würde zu dem Fahrzeug, in dem der tote Körper der Tochter vom Alexander an die Windschutzscheibe gedrückt, die Augen geöffnet, zu mir herüberschauen würde, zu mir, der ich der einzige Mensch weit und breit wäre. Ich aber hätte den Schritt beschleunigt und mir, wie ich mir damals vorstellte, den Kragen meines tropfenden Regenmantels hochgesteckt. Daran dachte ich, während ich mich nicht von der Stelle rühren konnte, mit den Stiefeln wie angewurzelt am Boden geklebt bin und der Papa, ganz rot vor Wut, wieder auf das Bett gesprungen ist und breitbeinig mit der Zeitung auf mich einschlug. Erst später habe ich erfahren, dass die Tochter vom Alexander am hellichten Tag gestorben ist, mitten auf der Straße von einem anderen Auto zerdrückt worden ist, und noch an Ort und Stelle verstorben ist, und zwar auf einer Insel in Thailand.“
Die Betrunkenen sind fort gezogen, so wie der Regen, gemeinsam haben sie das Weite gesucht, während du das Enge suchst, da mitten in der Nacht unter meinem Bett. Und jetzt komme ich zu dir, ziehe mir meinen nun getrockneten Mantel aus, lasse ihn zu Boden fallen auf alles andere und krieche, nachdem ich das Fenster schliesse, zu dir.
Du sagst: „Der Papa hat Unrecht gehabt, denn der Alexander ist erst viel später gestorben und so hat der Saska, der auf den Brendel getippt hat, der ein Musiker war und kein Schauspieler, gewonnen.“ „Ich weiß“, sage ich und sage nichts.

Ich habe früher Tagebuch geschrieben und schreibe heute nichts mehr.

Ein leeres Blatt, aber zumindest ein Blatt. Es soll gefüllt werden.
Die Sprache finden. Wie mühsam! Warum findet die Sprache nicht mich? Vieles andere fällt einem ja auch zu. Man sagt, das Wichtigste im Leben könne man (ohnehin) nicht planen, das falle einem zu, sagt man und ähnliches. Ich muss mich jedenfalls aufraffen, ganz fürchterlich aufraffen, um überhaupt zu schreiben. Wie aufstehen an einem Sonntag Morgen: nur um nicht liegen zu bleiben. Schreiben nur um nicht nicht zu schreiben. Also Erwartungen erfüllen vielleicht. Seinem Leben einen Sinn, nicht nur faul, etwas erreichen, archivieren usw.
Ich beschäftige mich, Uni-mäßig, jetzt mit Josef Winkler. In seiner Büchnerpreisrede beschreibt er (wiedereinmal) seinen Spracherwerb : „… und ich schreibe, immer wieder an die im Heustadl pendelnden Füße der beiden leblosen Buben vor Augen, Nacht für Nacht ein über tausend Seiten langes Tagebuch…“ Aus der Not eine Tugend, das Schreiben als Befreiungsschlag gegen die Sprachlosigkeit des sozialen Umfeldes, das geschriebene Wort als Lebensretter, im Hintergrund steht drohend das antreibende Trauma, der Selbstmord zweier Freunde, es zwingt zur Sprache. Was aber tun wenn das Trauma ausbleibt, wenn die Kindheit sich erträglich gestaltete, wenn die Ventile stets geöffnet sein durften und schon ganz viel hinausgefloßen ist, viel an Wut und klugen Folgen, ins Nichts hinausgefloßen ist, ohne es auf Papier zu bannen? Wenn es nur so wenig zu sagen gibt. Aber: Über mich selbst schreiben, will ich ohnehin nicht zu meinem literarischen Programm machen. Nichts persönliches nach außen stülpen, höchstens in sorgfältig verpackten Formulierungen, die verschleiern. So macht man das, aber auch nicht alle. Winkler schreibt ganz unverholen, wenn auch zu Beginn seines Schaffens in sehr avantgardistischem Stil, sehr verweigend, alles Erzählen, ganz im (österreichischen) Literatursinn, verweigernd und alles mühsam machend. Mittlerweile schreibt er ganz anders: „Es war noch kein literatischer Ehrgeiz, es waren Wortanfälle, ich wollte mich schreibend dazuhängen zu den beiden Buben (...) ich konnte nicht leben und nicht sterben, ich musste und konnte nur lesen und schreiben, um nicht von einem tintenbeckleksten Löschpapier aufgesaugt zu werden und hinter meinem eigenen Rücken zu verschwinden für alle Zeiten.“
Das Verschwinden, das Löschpapier, das alle leren Papiere ja sind, weil es auslöschen lasst, aus dem Gedächtnis nichts herausholt sondern der Heimsuchung durch das Vergessen unbeteiligt zusieht. Alle Erinnerung verwischt dann zu einem Einheitsmischbrei, zu einer blassen Ahnung, wie es wohl gewesen war, im Grunde zu einer blassen Ahnung wie es gewesen sein könnte. Oder zur Verklärung. Wahrscheinlich zu allem. Freilich, auch eine Notitz ist bereits Erinnerung, nur: Worte haben, zumindest regelmäßig, etwas konkretes. Also lieber eine konkrete, unveränderliche, also schriftliche Aufzeichnung, auch wenn diese nur eine Bestandaufnahme ist und von meinem Ich geschrieben wurde, das jünger und also dümmer ist, lesen, als sich in dem sentimentalen und naturgemäß immer melancholischen Erinnerungsbrei baden zu müssen. Ihn trinken müssen.
Ich habe früher Tagebuch geschrieben und schreibe heute nichts mehr.

...

da ist natürlich die überforderung. nichts kann so eingestellt werden wie es gewünscht wird. die farben bleiben grau in grau, jede anweisung, jeden änderungswunsch ignorirend. [daran denken wie elendiglich viele rechtschreibfehler sich hier versammeln werden] aber das bild! extra bearbeitet, damit es sich ausreichend bückt und beugt. in die länge gezogen und abgeschlankt, damit man sowohl etwas vom dunkelblauen himmel, als auch die rasende orange straßenbahn sieht. man ist gezwungen und aus der not eine tugend usw.

leblicher! lieblicher! und alles doppelt schreiben?, nein nein!

fort, aber wohin

(Markus Werner: Festland, 1996)



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leistung und vergnügen

Franz-Xaver Franz Drama-Queen

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2016 / 5
... berlin berlin berlin. vom flughafen direkt in...
Lebensmensch - 2024-02-27 10:35

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"Mit Honig auf dem Kopf tue ich natürlich etwas, was mit denken zu tun hat." Joseph Beuys

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