Komoedie II: Hansaring

Am Abend verlies ich dann wie ganz von allein das Haus, in der größten Selbstverständlichkeit sozusagen. Just in jenem Augenblick, in dem ich den Gehsteig betrat, warfen zwei oder drei Buben von der Dachterasse des Nachbarhauses Schnellbälle auf mich und doch war es mir, als hätte ich es geahnt. Ich bezog hinter einem Auto Stellung, einem VW Golf, was mir aufgefallen ist, obwohl ich sonst niemals ein Auto von einem anderen Auto unterscheiden kann und also niemals von einem Auto angefahren werden sollte, weil ich unabhängig von meiner tiefsten seelischen Zerrüttung, die ich davon tragen und die mir den letzten Rest an Überlebenswillen rauben würde, keinerlei Angaben über das Fluchfahrzeug machen könnte. Der nächste Schneeball war außerordentlich scharf geschossen und verfehlte mich tatsächlich nur um Centimeter. Ich zündete mir eine Zigarette an, und hielt sie in dieser totalen Finsternis mit ausgetreckter Hand über das Autodach, um so den Nachbarsbuben meine Kampfbereitschaft zu signalisieren. Wieder keimte größte Dankbarkeit in mir auf, das noch erleben zu dürfen. Zu meiner Enttäuschung zogen sich die Jungen, offenbar irritiert durch mein natürliches Verhalten, jedoch in die Elternwohnung zurück und ließen mich mit mir allein. Ich ging zum Hansaring und begann stundenlang durch die Seitengassen rund um den Hansaring und dem Eigelstein zu schlendern, allen voran die Turiner Gasse war es, die mich immer und immer wieder anzog. Diese Gegend ist ohne Zweifel die heruntergekommenste und von vom allgemeinen Gesindel am zahlreichsten bevölkerte Gegend Kölns, was mich aufgrund der Lage und der architektonischen Schönheit des Eigelsteinviertels in dieser ansonsten abstoßend hässlichen Stadt immer sehr verwundert hat. Ich kaufte mir eine Flasche Bier, ein Sion Kölsch, da ich, auch wenn mein ästhetisches Empfinden die vollendete Abgestumpftheit erreicht hat, Bier ausschließlich anhand der Flaschenform auswähle, da mir jedes Bier gleich und darüberhinaus natürlich keines gut schmekt. Vollständig erfüllt von der Widerlichkeit der mich umgebenden Menschen, empfand ich allerdings überhaupt keinerlei Veranlassung, auch nur einen Schluck Bier zu trinken und trug also meine Flasche vor mir her. Ich war mir sicher, dass dieser Abend nicht anders enden könnte, als dass mir jemand schlussendlich diese gefüllte Flasche, nachdem ich sie stundenlang herumgetragen hatte, mit der größten Wucht über den Schädel ziehen würde. Wenn ich auch nur einige wenige Tage länger ohne Computer leben würde, dache ich, wäre ich in kürzester Zeit genauso wie die sich herumtreibenden Männer in den Seitengassen des Hansarings und es hätte den Anschein, dass ich Zeit meines Lebens immer nur in diesem Abschaum gelebt hätte und niemals unter anderen Menschen oder an anderen Orten. Mit der größten Selbstverständlichkeit würde ich alle Handgriffe so ausführen, wie die Männer vom Hansaring es tun und die selbe Sprache sprechen, die selbe Art sich zu bewegen, ihre Blicke und die meinen wären nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Erstmals in meinem Leben würde ich nur mehr als Teil einer Masse existieren und ganz und gar von dieser Masse geleitet und geführt werden. Das Kölner Gesindel, das ist mir schon am ersten Tag in dieser Stadt aufgefallen, lebt, so wie jedes Gesindel, sei nLeben ausschließlich auf der Straße, wobei die Besonderheit in Köln darin besteht, dass sich der Abschaum nur im Winter auf den Straßen rumtreibt, während er im Sommer zuhause bleibt und die Straße den mittelmäßigen Studierenden, die es auch in Köln in allzuhoher zahl gibt, überlässt. +++ Natürlich wurde ich nicht mit meiner eigenen gefüllten Sionflasche niedergeschlagen und ging um 02:00 uhr nach Hause wo ich entgegen meiner Gewohntheit sofort einschlief.
Es hätte auch anders sein können, aber am nächsten Tag wachte ich in der selben Stimmung mit dr ich am Vortag ins Bett ging auf. Immer noch fühlte ich mich von der umfassensten Dankbarkeit erfüllt und tatsächlich war dieses Gefühl der Dankbarkeit noch heftiger als am ersten Tag. Die Dankbarkeit hatte mich vollständig ergriffen. Es führte kein Weg daran vorbei und ich versuchte die mich rasant einnehmende Ahnung gar nicht erst zu unterdrücken: Ich musste in die Kirche. Hier in meiner Wohnung mich niederzuknien würde nicht mehr ausreichen. Ich musste den Ort aufsuchen, der eigens zum Niederknien gebaut wurde. Ich hätte mich auch in einem trohnsaal niedergekniet, wußte aber nicht, wie ich in so kurzer Zeit einen solchen finden sollte.

leistung und vergnügen

Franz-Xaver Franz Drama-Queen

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