Sonntag, 17. Januar 2016

2016 / 5

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berlin berlin berlin. vom flughafen direkt in die volksbühne. wie ein geschäftsmann. aber ist es mittlerweile nicht tatsächlich eine dienstreise, berlin? oder aber hat es doch noch etwas heiliges, rituelles? weil, als ich davorstehe, vor der volksbühne, habe ich kurz den impuls mich davor niederzuknien. den boden zu küssen, den grausigen berliner schnee. das gefühl hier bin ich zuhause. das ist die wahrheit und wird vom grad der albernheit, der in ihr steckt, nur noch wahrer und überhaupt war mir noch nie etwas zu peinlich um es zu schreiben, wenn auch beim lesen im nachhinein ich mich selbst nicht fassen kann vor scham.
also pollesch. ich würde ja auch gerne mal was anderes gehen, aber die lassen mich nicht. ich bin die ganze vorstellung hindurch so fitfy fifty weil zu viel pfaller und denke am ende schon an was ganz anderes, nämlich meine eigenen texte, die ich schreiben soll, aber das ist ja genau das richtige, weil ich ohne pollesch nie theaterirgendwas geworden wäre weshalb diese 110 prozentige inspiration, die pollesch für mich ist, natürlich immer dazu führt, selbst sofort schreiben zu wollen anstatt dem treiben auf der bühne zu folgen, das ich sowieso nicht verstehe, auch nach hundert pollesch stücken habe ich keine ahnung um was es da eigentlich geht, aber mich versteht auch keiner, egal. das ist mein fan verhalten: so wie der fan im angesicht des stars schreit (weil er sieht: er, der star, tut es! er hat dieses leben! (meine realität ist mein widerstand)), so schreie auch ich, in mir.
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(übrigens haben sündemann und ich wiedermal youtuber angesehen, ein mädchen (melanie sophie) die ist, weil sie lesbisch ist. weshalb ihr alle zukreischen, junge mädchen und buben, in trauriger und selbstverachtender ängstlichkeit, die so stark ist, dass man denkt: jetzt zünden sie gleich eine bombe, wenn es nur die youtuberin befiehlt, diese teufelin, diese seelenverkäuferin, die ihr outing am altar des männlichen kapitals vollzogen hat, wie alle frauen vor ihr es ebenfalls tun mussten, nur ist sie noch schlimmer, wie malaparte weiß, weil:"es ist eine schande mit dem hunger der anderen sein spiel zu treiben."
ich selbst habe bekanntlich ja auch ein schwulsein gelebt einige jahre, nur um mir anerkennung, beifall und neid abzuholen, von denen, die verklemmt in ihrer faden hetero-falle festsitzen, oder noch schlimmer, in ihrer heimlichen homo-falle, weshalb ich weiß, wie verachtenswert das alles ist, oder aber kann ich mich dadurch retten, dass ich sage: ich habe es performt und bin deshalb vor dem herrn gerettet?
wie geht diese frage für die youtuber aus? alles ist den youtubern abgezogen, außer ihr bloßes sein, ihr selbst und ihr ich, und jetzt könnte man 1. sagen, es ist ebenfalls eine einzige sein-performance, die eben nicht dem terror des selbst gehorcht, oder aber man geiselt es 2. als das genaue gegenteil, nämlich stumpfen ich-faschismus, der natürlich ein wir-faschismus ist, weil er erzeugt, dass alle "so" sein wollen, auch wenn es tausende "so" gibt, während es ja darum gehen muss, gar nicht sein zu wollen und gleichzeitig aber auch nicht nicht sein zu wollen, also ein seins- und ich-agnostiker zu werden und endlich mal über was anderes nachzudenken, als über diese verschissene erste welt identitätsfrage, und vielleicht stimmt beides, 1. und 2., was das urteil über die youtuber angeht, ich glaube aber zweiteres, natürlich, weil diese youtuber dann eben doch nichts anderes sind als zombies und vampire, die heerscharen von verwirrten 13-jährigen zögligen das ich und das ego reinstopfen bis zum erbrechen, und diesen jungen dingern rattenfängerhaft angebote machen. die dieses bedürfnis zu sein ja erst hervorbringen, das in wahrheit ja kaum ein mensch hat, die also keine lösung, sondern das problem selbst sind, und zwar nur, um den angeblich mangelhaften dann dreist sich als lösung zu verkaufen, anstatt dass sie die zögerlinge zögerlinge sein lassen und sie nicht auf den kapitalismus vorbereiten, weil nichts anderes ist das ganze youtuber universum, als eine militärakademie für künftige opfer islamistischer attentate, die gar nicht wissen, wie und warum ihnen geschieht. hoppla.
ich habe das wirklich nie gebraucht, dieses vorgelebt werden, nie. ich habe überhaupt nie das bedürfnis gehabt, dass mir jemand zeigt "so könntest du auch sein", weil ich auch gar nicht das gefühl hatte, dass irgendjemand von mir verlangt mich positionieren oder finden zu müssen. jedenfalls wollte ich nie wie jemand sein, sondern höchstens nicht wie jemand sein. höchstens wollte ich wie jemand denken oder schreiben, aber das bloße sein war immer zu wenig. also eben: sein wollen, wie jemand, der eine idee hat. eine idee, die keine identität zuläßt, weil sie einen ja gleich wieder wegzerrt mit den gedanken und also dem sein, woanders hin, weil man irgendetwas verfolgt und hinterherläuft sinnlos. ideentidät.
jetzt ist es nur gut, dass ich so gerne ficke und saufe und auch dem wrestling zugeneigt bin, sonst wäre ich vollends ein staubgrauer intellektueller geworden, nur geist, kein körper, also eben wie einer dieser lumpenzerfledderten dostojewskistudenten, der ich ja aber immer nur sein will, aber nie geworden bin. das gebot der sexyness, diese schönste pflicht der kulturindustrie, hat mich dann doch, wie immer, gerettet und zerstört gleichermaßen.)
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und übrigens hat pollesch doch tatsächlich mahlers adagietto verwendet. und dann ist etwas interessantes passiert: das ganze hat auf mich wenig eindruck gemacht. ich glaube, weil mahler ist mir dann eben doch wirklich heilig, während mir pollesch natürlich nicht heilig ist. das heilige ist eben nur im heiligen heilig. wenn es profan wird, ist es gar nicht mehr da. ich bin ja schließlich kein lutherianer!
ca. 50 bier später war ich dann am sonntag auch in marthaler, wo ich, wie beim letzten mal, am liebsten geweint hätte, wenn ich das könnte, weil es so so so schön ist. und weil die vergänglichkeit dem ganzen so sehr eingeschrieben ist. weil man dasitzt und weiß: das gibt es nur mehr wenige jahre. und dann ist es für immer und ewig und unwiderruflich verschwunden. noch ist es anachronistisch, auch wenn es natürlich radikaler und moderner und avantgardistischer ist als 99% des ganzen schnarchnasen theaters, aber trotzdem ist es bald ausgestorben. (überhaupt kann es einem zu denken geben, dass diese alten männer wie castorf und marthaler einen viel "moderneren" begriff von theater haben, wie irgendwelche dummstudierten handswerksregisseure die dann in der schaubühne oder im burgtheater ihren nonsens absabbern, wie ich ja überhaupt glaube, dass die konterrevolution sich breitmacht, weshalb marthaler und castorf dann eben doch nicht mordern sind, gott hab sie seelig.)
however: dankbarkeit. gibt es für mich nur im angesicht des todes. (dass ich das noch erleben darf.) und das ist dann sogar beyond heilig, sprich marthaler > mahler.


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aber man müsste ohnehin so sein wollen, wie so eine durchgeknallte dostojewski figur. ein am hungertuch nagender student, der in alten kleidern gehüllt durch die verschneiten gassen von st. petersburg irrt, mit hunderten losen blättern unter dem arm, seinen mauskripten, um dann, in einem verrauchten salon, wilde und endlose monologe zu halten, gegen das bürgertum. dann verzweifeln, verarmen, tuberkulose und sich erschiessen. kurz gesagt: jemand sein wollen, der eine idee hat. und der sich dann natürlich vor einem theater in den schnee wirft und die hände faltet. (die geste!)
also pollesch. ich würde ja auch gerne mal was anderes gehen, aber die lassen mich nicht. glanz und elend der kurtisanen. sich selbst spielen, statt selbst sein wollen, heißt es da wenig überraschend. die geste im öffentlichen raum. der rauchende halbstarke sein oder die lady, oder der schriftsteller mit schreibmaschine und whisky-glas, der zwar nicht schreibt, aber im schriftsteller performen ernster ist, als diejenigen, die nur schreiben, ohne den ganzen glanz, ohne das spiel, das erst ernst macht aus der sache. das klingt schön, wenn es nur so wäre. (denn was soll man dann eigentlich von jemandem wie handke halten, der seine schriftstellerauthentizität in einer tour runterperformt, in großen gesten (alles in handschrift abgeben (nach wie vor!), spaziergänge etc etc). das mögen wir ja nicht. wollen wir das also nur sehen, wenn der autor selbst das spiel durchschaut, das er da treibt? oder ist es nur dann erträglich, wenn seine geste von vornherein eine macht-entsagende, phallus-ferne geste ist (zb eine queere geste), oder eine lächerliche (zb eine nerdige geste)? oder aber ist es eigentlich nicht doch schöner, denjenigen zuzusehen, die nicht reflektieren, was sie da tun, also nicht merken, dass sie spielen (als der schriftsteller schriftsteller war, wußte er nicht, dass er schriftsteller war.))
mir alles ein bisschen zu viel robert pfaller, dem der pollesch ja scheinbar tatsächlich viel abgewinnen kann, was ich verstehe, also diese art der pfaller rezeption, die die geste stark macht, das accessoire, aber dennoch geht mir der pfaller so gegen den strich naturgemäß, rein als person, was mir immer das wichtigste ist natürlich,

"ich bin nicht mehr in dieser welt?"
"nein."
"meiner blumen wegen?"
"ihrer blumen wegen."

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