Samstag, 2. Mai 2015

Tauben, Tänzer und Helene Fischer


von Lia Sündemann


Zehn schwarze Menschen, die Neger spielen, bilden ein Spalier, je fünf auf jeder Seite. Mit der einen Hand hält jeder eine zwei Meter hohe Fackel, die andere lassen sie leicht im Takt schwingen. Die Schlagersängerin breitet die Arme aus, steigt die Treppe hinab und schreitet lächelnd durch die Reihe der Menschen. „Ich bin frei, endlich frei“ singt sie. Auf einer Plattform kommt sie zum stehen und während um sie herum ein Feuerwerk losbricht, singt sie davon, dass sie nun im Licht steht, - eine solche Strophe, eine Freude für die Leute von der Choreographie, denke ich mir. Da passt das dann auch so gut mit dem Feuer am Schluss. Und dass die Freiheit im erlösenden Licht noch einen Beigeschmack hat, fällt sicher niemandem auf. Auch mir erst später.
Zweitausend Menschen sind gerührt und versonnen, zumindest jene, die im Fernsehen in Nahaufnahme gezeigt werden, sie sehen sich, wie ich glaube, zeitgleich selbst auf einer Leinwand, und spätestens in diesem Moment, sollte ihnen dann klar sein, wie sie zu gucken haben. Das mit der Leinwand ist mir übrigens nur eingefallen, weil es eine Publikumsreaktion auf eine Nahaufnahme gab: Ein schwules Pärchen (Promis) küsste sich wild, genau genommen streckte einer dem anderen herausfordernd die Zunge entgegen, während dieser sich abwandte, vielleicht wegen der öffentlichen zur Schaustellung, jedenfalls jaulte da das Publikum fröhlich und so bekam ich das mit den Leinwänden heraus (wie es auch bei jedem großen Rockkonzert üblich ist, ja stimmt, ich erinnere mich).
Die Schlagersängerin wird von ihrem Mann, dem Schlagersänger, in Empfang genommen und sie küssen sich unter dem Johlen des Publikums. Er ist auch berühmt, oder war es mal, denn wäre er so erfolgreich wie sie, würde wohl sie ihn mit einem Kuss in Empfang nehmen. Die Gestaltung des Abends sieht vor, dass die beiden den Zuschauern nun einen kleinen Einblick in ihre private Glückswelt gewähren und darum setzten sie sich neben einander zum Talk an eine Art Bar im unfreiwilligen Design eines Autobahnrasthofs. Ob sie denn wüsste, dass 25 % aller Deutschen am liebsten mit ihr Weihnachten feiern würden? Und ob sie außerdem wüsste, dass 83 % aller deutschen Männer sie für die perfekte Frau hielten? Was sie denn dazu sagen würde, so ihr Mann. Was er denn dazu sagen würde, fragt sie zurück und in diesem Moment gibt es Menschen im Publikum und vor dem Fernseher die sehnlich hoffen, er würde seine Eifersucht nicht länger im Zaum halten können und anstelle des unterwürfig gepressten „ich hab wohl viel Glück gehabt“ schreien, „Ich hasse es, dass du erfolgreicher bist als ich, du bist eine eingebildete Schlampe!“ und sie würden mit den künstlichen Leuchtbäumen auf einander eindreschen, wie mit mittelalterlichen Lanzen.
Die anderen Zuschauer wünschen sich hingegen das zu sehen, was auch gezeigt werden soll, nämlich die glückliche Beziehung die auch funktioniert, wenn beide eiserne Karierristen sind und sich nie sehen. Es passiert weder das eine, noch das andere. Die geplante Choreographie sieht vor, dass die Schlagersängerin nun aus einem Umschlag die Ergebnisse einer Forsaumfrage vorliest, die eruiert hat, was Männer sich von ihren Frauen wünschen. Mehr reden, mehr Zärtlichkeit, mehr Aktivität. Es gibt nichts dazu zu sagen, die Ergebnisse sind nichtssagend. Auch die Ergebnisse der Umfrage, was Frauen sich von ihren Männern wünschen, bringen da nicht mehr Klarheit, da hilft es auch nicht, dass sie in Oscar-Preisverleihungs-Maniern von der Schlagersängerin vorgetragen werden. Im Wesentlichen decken sie sich mit den Wünschen der Männer. Zum Glück findet der Schlagersänger sich nicht wieder in diesen Zahlen. Geredet wird seiner Ansicht nach in ihrer Beziehung genug. Dass er sich mehr Zärtlichkeit wünschen würde, bleibt in einem ungelenken Gag hängen, als die Schlagersängerin sich wie aufgefordert zu ihm beugt, um ihn zu küssen und er das, indem er sich abwendet, auf das private Zuhause verschiebt, von dem niemand weiß, ob es existiert. Liebe als Arbeit für die Vielen, denen Liebe auch genau das ist: Eine Arbeit, die darin besteht, Liebe professionell zu performen. Zu sagen dass man glücklich ist, ist das Glück. Und wer das nicht macht, ist selbst schuld. Aus Sprachlosikeit und damit die Show weitergeht und endlich Schluss ist mit dem Quatsch bittet er sie noch ein paar ihrer Hits zu singen und mit größter Freude stimmt sie ein Lied an - über das Durchhalten.

Wenn man von der U-Bahn Haltestelle Ebertplatz, dem ehemaligen Adolf Hitlerplatz hinauf geht, kommt man an eine Unterführung, die sanft in den Beton des Platzes hinübergeht. In dieser Unterführung saßen letztens zwei Tauben und schliefen fest und sie sahen aus wie kleine graue Steine, wie sie so da saßen. Heute stand in der Unterführung ein Mann und tanzte. Er hatte Kopfhörer auf und bewegte sich zu der Musik mit der Routine eines Clubbesuchers.

leistung und vergnügen

Franz-Xaver Franz Drama-Queen

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